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Samstag, 24. Januar 2004
Lateinische Wörterbücher
rotula, 23:27h
Man ist ständig von ihnen umgeben: In der Schule begleitet einen der Kleine Stowasser, im Studium (Mittelalterliche Geschichte) tritt der Taschen-Heinichen an seine Stelle, weil er das Mittellatein mit berücksichtigt, und wenn man wirklich intensiv philologisch arbeiten will, konsultiert man regelmäßig den Georges. Hinzu gesellen sich je nach Bedarf manchmal der Niermeyer, der Thesaurus oder auch der DuCange, manchmal auf die Schnelle auch das Mittellateinische Glossar von Habel/Gröbel (ja, ja, ich weiß ;-)). Mit der Zeit weiß man, welches Werkzeug für welche Situation das richtige ist, man identifiziert die unterschiedlichen Wörterbücher mit den jeweiligen Autoren/Herausgebern/Bearbeitern. Doch: Was waren das für Menschen? Seit wann gibt es eigentlich den Thesaurus? Gab es auch mal einen "großen" Stowasser? Auf all diese und viele weitere Fragen gibt die mit viel Liebe zum Thema und äußerster Akribie gestaltete Seite von Richard Wolf Antworten. Unbedingt sehens- und lesenswert! Biographische, bibliographische, antiquarische Daten in Hülle und Fülle, Abbildungen der Autoren, ... Klasse!
[Vielen Dank an Annette Grabowsky für den Linktipp!]
[Vielen Dank an Annette Grabowsky für den Linktipp!]
Hungersnot 793
rotula, 16:23h
Eine meiner ersten Übungen zur mittelalterlichen Geschichte befasste sich mit hagiographischen Texten als Quellen zur Mentalitäts- und Alltagsgeschichte. Die Vita Benedikts von Aniane aus der Feder des Ardo haben wir damals nicht behandelt. Doch auch in diesem Text stößt man allenthalben auf interessante Stellen. So zum Beispiel auf den Bericht über eine Hungersnot:
Diese Passage vermittelt doch ein recht anschauliches und vermutlich auch realistisches Bild. Deutlich wird, welche eminent wichtige Rolle Klöster für die soziale Versorgung, besonders in Krisenzeiten spielten (deutlich aber auch, dass Klöster eben diejenigen sind, die noch über Vorräte verfügen). Und wir bekommen sehr klar vor Augen geführt, wie so etwas damals konkret ablief.
Überhaupt sind viele Passagen der Vita äußerst aufschlussreich über die alltäglichen Widrigkeiten, mit denen klösterliche "Startups" damals zu kämpfen hatten (Diebstahl, Überschwemmungen, Feuersbrünste, Neid und Missgunst innerhalb des Klosters ...). Die spannende Lektüre der Vita kann ich nur empfehlen (wenn man sich mal durch die sperrige Praefatio durchgequält hat!). Die angegebene Webseite wird innerhalb der nächsten Wochen vervollständigt werden, sodass man den gesamten Text auf Deutsch lesen können wird. Auf Latein steht der Text bereits jetzt online zur Verfügung.
Im vorgegebenen Rahmen einer Übung und der dazugehörigen Webseite können verschiedene spannende Fragen nicht ausführlicher behandeln werden. Deshalb seien zu dieser Stelle hier einfach einige Materialien ergänzend hinzugefügt.
Die oben beschriebene Hungersnot könnte die weit verbreitete von 793 sein, die in verschiedenen Annalen belegt ist. Hier aber klingen die Meldungen naturgemäß ungleich lapidarer:
Die Auswirkungen dieser Krise sind auch noch in den Dokumenten der großen Synode von 794 in Frankfurt fassbar. Zumindest im Frankfurter Kapitular (MGH Conc. 2, 1 S. 165 ff.) finden sich zwei Stellen, die darauf Bezug nehmen: "Kapitel 4 berichtet von einer Entscheidung des Königs, der die Synode zugestimmt habe, durch die feste Preise für Getreide und für Brot eingeführt wurden, die in Zeiten des Überflusses ebenso gelten sollten wie in Zeiten des Mangels. Wenn es in einem Zusatz heißt, daß die königlichen Benefiziare dafür sorgen sollen, daß keiner ihrer Knechte verhungere, so beleuchtet dies eindrucksvoll die schlechte Ernährungslage vor allem der Unterschicht in jenen Jahren" [Hartmann, Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (1989) S. 111]. Kapitel 25 befasst sich mit dem Zehntgebot. "Wohl als Hinweis auf die Bestrafung bei Zinsverweigerung ist noch hinzugefügt, daß während der schweren Hungersnot des Jahres 793 das Getreide von den Dämonen gefressen worden und weggeflogen sei, außerdem seien tadelnde Stimmen gehört worden. Der volkstümliche Dämonenglaube wurde hier von einer Synode als Disziplinierungsmittel benutzt!" [Hartmann, Synoden S. 113].
7. (16) Es gab aber in dieser Zeit eine fürchterliche Hungersnot, viele der Armen, der Witwen und der Waisen fingen an, zu ihm (Benedikt) zusammenzuströmen und die Pforten des Klosters und die Wege zu verstopfen. Als er jene vom Hunger verzehrten, ja vielmehr schon fast vom Tod selbst verschlungenen sah, wurde er bedrückt, denn er wusste nicht, woher er eine so große Menge ernähren sollte. Aber weil denen, die Gott fürchten nichts fehlt, ließ er, bis sie neue Früchte ernteten, das, was den Brüdern genügen könnte, abgesondert zurücklegen. Dann ordnete er an, den Rest durch dafür bestimmte Brüder an den einzelnen Tagen zu verschenken. Sogar Fleisch von Vieh und Schafen wurde jeden einzelnen Tag gegeben, sogar Milch von Schafen gewährte Hilfe. Also machten sie sich Hütten an geeigneten Orten, in denen sie bis zur nächsten Ernte wohnten. Als der Speisevorrat ausging, schrieb er vor, wiederum das, was er befohlen hatte, zum Gebrauch der Brüder zurückzulegen, neu aufzuteilen; dies wurde dreimal gemacht. In den Seelen der Brüder war freilich das Gefühl der Barmherzigkeit so groß, dass sie auch gern alles hergegeben hätten, wenn es erlaubt gewesen wäre. Denn was jeder sich entziehen konnte, brachte er heimlich denen, die von Hunger erschöpft waren; und so wurden sie kaum der Gefahr des Verhungerns entrissen. Mehrmals wurde sogar jemand tot aufgefunden, der Brot im Mund hatte.Den lateinischen Text gibt's hier. Von dort habe ich auch die Übersetzung übernommen (mit einigen kleineren Korrekturen und stilistischen Nuancen, denn bei der Webseite über die Vita handelt es sich noch um eine im Aufbau befindliche Rohfassung).
Diese Passage vermittelt doch ein recht anschauliches und vermutlich auch realistisches Bild. Deutlich wird, welche eminent wichtige Rolle Klöster für die soziale Versorgung, besonders in Krisenzeiten spielten (deutlich aber auch, dass Klöster eben diejenigen sind, die noch über Vorräte verfügen). Und wir bekommen sehr klar vor Augen geführt, wie so etwas damals konkret ablief.
Überhaupt sind viele Passagen der Vita äußerst aufschlussreich über die alltäglichen Widrigkeiten, mit denen klösterliche "Startups" damals zu kämpfen hatten (Diebstahl, Überschwemmungen, Feuersbrünste, Neid und Missgunst innerhalb des Klosters ...). Die spannende Lektüre der Vita kann ich nur empfehlen (wenn man sich mal durch die sperrige Praefatio durchgequält hat!). Die angegebene Webseite wird innerhalb der nächsten Wochen vervollständigt werden, sodass man den gesamten Text auf Deutsch lesen können wird. Auf Latein steht der Text bereits jetzt online zur Verfügung.
Im vorgegebenen Rahmen einer Übung und der dazugehörigen Webseite können verschiedene spannende Fragen nicht ausführlicher behandeln werden. Deshalb seien zu dieser Stelle hier einfach einige Materialien ergänzend hinzugefügt.
Die oben beschriebene Hungersnot könnte die weit verbreitete von 793 sein, die in verschiedenen Annalen belegt ist. Hier aber klingen die Meldungen naturgemäß ungleich lapidarer:
Et in ipsa hieme transmisit rex Karolus duos filios suos Pippinum et Ludovicum cum hoste in terra Beneventana; et facta est ibi famis validissima super populum illum qui ibi inventus est, et super exercitum qui advenerat, ita ut aliquanti nec ipsa quadragesima se ab esu carnium abstinere potuissent. Set et famis valida in Italia et Burgundia, et per aliqua loca in Francia incumbebat, necnon in Gothia et in Provincia erat famis valida, ita ut multi ex ipsa fame mortui fuissent. [Annales Laureshamenses, MGH SS 1, hg. von Pertz S. 35]Grob übersetzt:
Und in jenem Winter schickte der König Karl [der Große] seine beiden Söhne Pippin und Ludwig mit einem Heer nach Benevent. Und dort gab es eine äußerst heftige Hungersnot, die das dort vorgefundene Volk sowie das angekommene Heer betraf. Sie war so schlimm, dass einige – obwohl Fastenzeit herrschte – nicht darauf verzichten konnten, Fleisch zu essen. Und die schlimme Hungersnot befiel Italien und Burgund und andere Gegenden im Frankenreich, und besonders auch in Gotien und in der Provence herrschte schlimmer Hunger, sodass aufgrund dieser Hungersnot viele starben.Seltsam mag anmuten, dass man Fleisch hatte und trotzdem hungerte. Unklar ist aber, um was für Fleisch es sich genau handelte. Außerdem wurden in dieser Zeit die Fastengebote sehr ernst genommen. Die Hungersnot war vermutlich bedingt durch Mangel an Korn (Missernten). [Vgl. Abel – Simson, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen 2 (Leipzig 1883) S. 52 Anm. 1].
Die Auswirkungen dieser Krise sind auch noch in den Dokumenten der großen Synode von 794 in Frankfurt fassbar. Zumindest im Frankfurter Kapitular (MGH Conc. 2, 1 S. 165 ff.) finden sich zwei Stellen, die darauf Bezug nehmen: "Kapitel 4 berichtet von einer Entscheidung des Königs, der die Synode zugestimmt habe, durch die feste Preise für Getreide und für Brot eingeführt wurden, die in Zeiten des Überflusses ebenso gelten sollten wie in Zeiten des Mangels. Wenn es in einem Zusatz heißt, daß die königlichen Benefiziare dafür sorgen sollen, daß keiner ihrer Knechte verhungere, so beleuchtet dies eindrucksvoll die schlechte Ernährungslage vor allem der Unterschicht in jenen Jahren" [Hartmann, Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien (1989) S. 111]. Kapitel 25 befasst sich mit dem Zehntgebot. "Wohl als Hinweis auf die Bestrafung bei Zinsverweigerung ist noch hinzugefügt, daß während der schweren Hungersnot des Jahres 793 das Getreide von den Dämonen gefressen worden und weggeflogen sei, außerdem seien tadelnde Stimmen gehört worden. Der volkstümliche Dämonenglaube wurde hier von einer Synode als Disziplinierungsmittel benutzt!" [Hartmann, Synoden S. 113].
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